15.02.22 Wohnraum-Bündnis zum Monitoringbericht für 2020 – keine nennenswerten Fortschritte (PM)
2020 keine nennenswerten Fortschritte in der Sicherung von bezahlbarem Wohnraum
Anfang Januar hat die Stadtregierung im Sozialausschuss den 3. Monitoringbericht des 2018 beschlossenen KHK („Kommunales Handlungskonzept zur Schaffung und Sicherung von bezahlbarem Wohnraum in Göttingen“) vorgestellt. Für das Göttinger Wohnraum-Bündnis „Gutes Wohnen für Alle“ stellt Ragnar Paul hierzu fest:
„Noch immer bleibt die Stadt massiv hinter ihren selbst gesteckten Zielen zurück. Auch für 2020 sehen wir keine nennenswerten Fortschritte in der Gewährleistung bezahlbaren Wohnraums.“
Als kleinen Erfolg kann die Stadt nach wie vor nur die Schaffung von Planungsrecht und Baugenehmigungen aus den Jahren 2018-2020 für sich reklamieren. Es gibt auch etwas mehr gekaufte Belegungsrechte und vereinbarte Bindungen als vor einem Jahr. Bezugsfertig ist jedoch bisher keine dieser über die 30%-Quote geförderten Wohnungen.
Um die ansonsten enttäuschende wohnungspolitische Bilanz ein wenig aufzuhellen, werden im Monitoring 2020 Vergleiche präsentiert. Sie sollen zeigen, dass die Wohnungsversorgung bzgl. überdurchschnittlich hoher Mietbelastung auch in anderen niedersächsischen Großstädten ähnlich schlecht ist, dass aber die letzten Jahre in Göttingen durchaus auch Verbesserungen gebracht hätten: Die Zahl der Haushalte mit extrem hoher Mietbelastung (über 40% bruttowarm) sei von 2010 auf 2018 deutlich gesunken. Diese positiv klingenden Zahlen entnimmt die Stadtverwaltung einer Studie der Wohnungsforscher Holm, Regnault, Sprengholz und Stephan („Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme“, 2021), die in einer umfangreicher Analyse von statistischen Daten die Entwicklung der Wohnungsversorgung für alle deutsche Großstädte berechnet haben.
„Es ist verwunderlich, dass diese Tabellen im Monitoring überhaupt angeführt werden. Das soll möglicherweise dazu dienen, die dürftigen Ergebnisse im Verhältnis zu der so groß von der Stadt angekündigten Schaffung von bezahlbaren Wohnraum in ein milderes Licht zu rücken. Inwiefern diese Dynamik durch gelungene Wohnraumpolitik entstanden sein könnte, findet sich im Monitoring nicht wieder,“ kritisiert Ragnar Paul.
Gleichzeitig steigen – so der Monitoring-Bericht – die Angebotsmieten in Göttingen immer weiter, im Neubau wie im Bestand. Und die Wartelisten bei der Städtischen Wohnungsbau und der Wohnungsgenossenschaft werden immer länger.
„Wenn die Stadt schon die Studie von Holm und Co. bemüht, bieten sich angemessenere Gradmesser an, anhand derer sich das Kommunale Handlungskonzept messen lassen muss,“ ist die einhellige Meinung im Bündnis. So ergeben die Berechnungen Holms et al., dass sich die reale Versorgung mit „angemessenen“ und „leistbaren“ Wohnungen von 2006 bis 2018 deutlich verschlechtert habe. Unter den deutschen Großstädten stehe nur Recklinghausen noch schlechter da als Göttingen. Auch auf einem anderen Index, dem „Idealversorgungsgrad“, gehört Göttingen zu den Bottom Ten, also zum Club derjenigen deutschen Großstädte, in denen sich die Wohnungsversorgungslage am stärksten verschlechtert hat. „Diese negativen Zahlen, Ergebnis einer nun fast 20 Jahre von der SPD bestimmten „sozialen“ Wohnungspolitik, zitiert die Stadt nicht. Das Scheitern ihrer Wohnungspolitik zur Sicherung bezahlbaren Wohnens in Kooperation mit Spekulanten und Investorinnen hatte sie zwar bereits im Kommunalwahlprogramm 2021 eingeräumt, ist im neuen Monitoring aber eher zwischen den Zeilen zu lesen.“ so das abschließende Fazit des Bündnisses.
Kommentar zur Datenlage und Verbesserung in einzelnen Bereichen
Die Autoren der Studie „Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme“ (2021) haben methodisch sorgfältig gearbeitet und richtig gerechnet.
Die Datengrundlage dagegen ist kompliziert und manchmal tückisch. Datenquelle ist der alle 4 Jahre stattfindende Mikrozensus, in dem 1% repräsentativ ausgewählter Haushalte Auskünfte über Einkommen, Wohnen und anderes geben müssen, Selbstauskünfte, die nicht kontrolliert werden. Aus dieser kleinen, zufälligen Stichprobe wird mittels statistischer Verfahren hochgerechnet. Diese Methoden, die Fragen der Vergleichbarkeit und der Aussagekraft sind kompliziert und ein Fall für Experten. Nur so viel als Hinweis: Bei dieser schmalen Datenbasis von wenigen Haushalten können Veränderungen von Lebenslagen oder auch versehentliche Falschangaben bei wenigen Haushalten weitreichende Wirkungen haben und Aussagen für den einzelnen Fall ‚ungenau‘ werden lassen. Trotz aller statistisch-methodischen Sorgfalt.
Vom „normalen“ Bürger und vielleicht auch von Ratsmitgliedern kann man nicht unbedingt erwarten, dass ihnen diese Hintergründe und statistischen Raffinessen geläufig sind, von den Experten in der Verwaltung allerdings schon. Entsprechende „warnende“ Hinweise wären notwendig, wenn derartige Tabellen zitiert werden. Doch in den Folien des Monitoringberichts finden sich keine derartigen Hinweise.
Allgemein gesehen macht diese komplizierte Daten- und Statistikdebatte deutlich, wie wenig Wert die Politik auf die Kenntnis der tatsächlichen Wohnungsversorgung legt. Sie weiß weder, wie viel Wohnungen es in der Stadt gibt, noch wer und warum zu hohe Mieten aufbringen muss; sie weiß nicht, warum die Einwohnerzahl derzeit sinkt, nicht, welche Wanderungsbewegungen es gibt, inwiefern Einkommenseffekte eine Rolle spielen und was für den Wohnungsbedarf bedeutet. Sie muss/will es offenbar auch nicht wissen. Die Politik gibt nur einen Rahmen (mittels Planungsrecht z.B:) vor, in dem Mieter und Investoren sich dann frei austauschen können – über Angebots-Preise und Nachfrage-Zahlungsbereitschaft. Vorausgesetzt, Mieter verfügen überhaupt über die nötige Zahlungsfähigkeit.
Das aktuellen Monitoring 2020 bringt – kurz gesagt – keine großen Neuigkeiten gegenüber dem Monitoring 2019. Das bedeutet: Es gibt keine nennenswerten Fortschritte in der Sicherung und Herstellung von bezahlbarem Wohnraum.
Für einen detaillierten Kommentar zum Monitoring bitten wir Sie, in folgenden Blog zu schauen. Hier ist zum Monitoring 2019 – simultan zu 2020 – schon das Nötige gesagt worden. https://stadtentwicklunggoettingen.wordpress.com/2021/04/12/khk-das-monitoring-2019/